Hamburger Abendblatt und das böse Internet


Deutschland, im Jahre des Herrn 2009. Die ganze Republik bemüht sich, das Internet zu verstehen. Nur in einer kleinen Redaktion in Hamburg leistet man verbissen widerstand. So leicht will man die alten Vorurteile nicht aufgeben. Da es zum Kommentar „Unerträgliche Leichtigkeit“ von Karl Günther Barth keine Möglichkeit des Kommentars gibt, gibt es ihn hier.

Lieber Herr Barth,

das meinen Sie doch nicht etwa ernst? Das Internet ist Kommunikation und eine kulturelle Bereicherung, von der die großen Geister der vergangenen Jahrhunderte nur zu träumen wagten. Immer noch wird es aber verteufelt, wie einst Video, Fernsehen, Kofferradios und Rock’n’Roll. Der Untergang des Abendlandes ist trotzdem ausgeblieben — oder er hat stattgefunden und wir haben’s nicht bemerkt, weil das Fernsehen nicht dabei war?

Die Piratenpartei will Löschung und Strafverfolgung statt Stoppschildern, hinter denen das Leiden der Kinder nur weitergeht. Wer verletzt die Würde von Kindern mehr? Derjenige, der die Opferverbände, Experten und eine Mehrheit der Internetbevölkerung hinter sich hat oder diejenige, die Kinderpornografie der Presse vorführt und auf dem Rücken der Opfer von sexuellem Misbrauch Wahlkampf betreibt? In Hamburg haben Sie übrigens die wirkweise der Stoppschilder von Frau v.d. Leyen direkt vor der Haustür. Gehen Sie doch bitte an der Herbertstr. vorbei. Sehen sie die Sichtblenden an und sagen Sie ehrlich: Ändern sie etwas an dem Treiben dahinter?

Respekt vor den Mitmenschen drückt die Internetgemeinde seit Jahrzehnten in den Netiquette genannten Regeln aus. Bitte mal bei Wikipedia nachschauen, was das ist. Wikipedia ist Teil des achso bösen Internets, in dem ja auch das HA schreibt. Und wenn man auf Schritt und Tritt das ‚Urheberrecht‘ verletzt, das nur noch ein Verwerterrecht ist und die Urheber mit Almosen abspeist, stimmt dann nicht viel eher etwas mit der Gesetzgebung nicht?

Von Herrn Tauss werden die Piraten Abstand nehmen, wenn er denn rechtskräftig verurteilt würde. Solange dem nicht so ist, gilt er im Rechtsstaat als unschuldig.

Zu den Cybercops empfehle ich Ihnen den Beitrag von Herrn RA Udo Vetter lesen. Das Internet bietet auch diese Möglichkeit der Information. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Forderung nach mehr Internetstreifen nämlich als populistishes Gewäsch.

Sie sind stellv. Chefredakteur und wurden selbst vom BND ausspioniert. Dass gerade Sie als Journalist und Betroffener keinerlei Sensibilität zu Themen wie Informationsfreiheit und Zensur an den Tag legen, verwundert mich zutiefst. Wie viele Dokumente zum Thema Elf Aquitaine hätten sie wohl über Wikileaks oder andere Whistleblower-Seiten bezogen, wenn es sie denn damals schon gegeben hätte? Wissen Sie denn, dass gerade diese Seiten sehr schnell hinter einem Stoppschild verschwinden werden, wenn das Zugangserschwernisgesetz durch ist?

Man wird als dummer Mensch nicht Vize-Chefredakteur, also Herr Barth, überdenken Sie Ihre Position. Es ist nicht leicht, die Standpunkte der Piratenpartei zu verstehen, wenn man nicht selbst zu Netizens (Generation-C64, digital natives, anderer Modename) gehört. Aber Sie sind sicher nicht Journalist geworden, um leicht alte Phrasen nachzuplappern. Ich erwarte Ihren nächsten Kommentar mit einer gewissen Vorfreude.

Update: Weil das Internet es so einfach macht, habe ich diesen Text auch als Leserbrief an die Redaktion des HA geschickt.

Hintergrundinfo und Ironie der Geschichte (sicher keine Verschwörungstheorie): Barth hat als Stern-Autor in den 90ern über die Schmiergeldaffäre um den Verkauf der der Ostdeutschen Leunawerke an die französische Elf Aquitaine recherchiert. Schmiergelder sollen dabei u.a. an die CDU geflossen sein, deren Schatzmeister zu der Zeit der heutige Innenminister Wolfgang Schäuble war.


2 Antworten zu “Hamburger Abendblatt und das böse Internet”

  1. Wie fänd Voltaire die Wikipedia? Was würde Sergeij Eisenstein zu Youtube sagen? Würde Orson Welles Podcasten? Was hätte Luther erst zum WWW gesagt?