Zensus2011 – Welchen Sinn haben die Befragungen?


Welchen Sinn haben die Befragungen von 10% der Bundesbürger im Rahmen des Zensus 2011? Diese Frage habe ich dem statistischen Bundesamt gestellt und folgende Antwort bekommen:

Statistisches Bundesamt
B303-Zensuskommunikation
65180 Wiesbaden
Tel. +49 (0) 611 75-2011
Kontakt: http://www.zensus2011.de/kontakt
Internet: http://www.zensus2011.de

Sehr geehrte Bürgerin,

Ich bin ja nicht verpflichtet, in Kontaktformularen wahrheitsgemäße angaben zu machen, oder? :)

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 20. April 2011.

Wir haben großes Verständnis dafür, dass man bei so vielen Ämtern in Deutschland den Eindruck haben könnte, dass die Daten ohne den Zensus 2011 schon alle vorhanden sind. In der Tat ist das auch genau der Grund dafür, dass der Zensus 2011 keine traditionelle Volkszählung ist, bei der alle Menschen befragt, sondern eben vorhandene Verwaltungsdaten genutzt werden.

Es sind also alle Daten schon vorhanden — mal abgesehen davon, dass es ein Unding ist, Daten, die aus gutem Grund getrennt gehalten werden, zusammenzuführen — was sollen also dann die Befragungen?

Es gibt Meldeämter, Standesämter, Katasterämter, Grundbuchämter, Finanzämter usw., aber diese Ämter haben alle die ihnen namensgebenden Aufgaben und führen Daten nicht für statistische Zwecke.

Ich arbeite derzeit selbst in einem Amt. Ämter müssen immer auch statistische zahlen über Ihre Arbeit abliefern. Die fallen bei der erledigung der Arbeit an.

Beispiel Grundsteuer: Nach den Vorgaben des Zensusvorbereitungsgesetz (§10 Abs.2) können die Unterlagen der Grundsteuer dazu herangezogen werden, um die Auskunftspflichtigen der Gebäude- und Wohnungszählung zu bestimmen. Die kommunale Aufgabe des Einzugs der Grundsteuer ist deutschlandweit unterschiedlich organisiert. Im Land Niedersachsen beispielsweise werden üblicherweise Dauerbescheide erstellt, d.h. solange die Grundsteuer regelmäßig bezahlt wird, besteht für die entsprechende Behörde kein Anlass, die Anschrift des Zahlers von Grundsteuer zu aktualisieren. Auf diese Weise können die Grundsteuerstellen mitunter veraltete Anschriften der Eigentümer von Wohnraum aufweisen, was ein Grund für die derzeit stattfindende Vorbefragung zur Gebäude- und Wohnungszählung ist.

Aber das Grundstück wird seine Anschrift nicht ändern und wer in dem gebäude wohnt, weiß das Meldeamt. Außerdem Glückwunsch an das Land Niedersachsen: Solange Ihr eure Grundsteuer bekommt, geht euch der Rest nichts an. Privatssphäre – You’re doin‘ it right.

Am Beispiel der Gebäude- und Wohnungszählung sehen Sie überdies, dass für viele Merkmale, die EU-weit im Jahr 2011 zu erheben sind, keine Registerdaten vorhanden sind. So ist etwa der Bestand an Wohnungen, deren Größe und Ausstattung nicht aus Registern flächendeckend für Deutschland zu gewinnen.

Mal abgesehen davon, das ich das nicht glaube — zu jedem Gebäude existiert in D eine Baugenehmigung und entsprechende Einträge in den Katastern — warum befragt man mich?

Wenn übrigens kein Anlass besteht, die neue Anschrift eines Steuerzahlers zu ändern … warum soll man das also im rahmen des Zensus tun?

Bezogen auf die zentrale Aufgabe des Zensus, exakte kleinräumige amtliche Einwohnerzahlen zu erhalten,

was heißt kleinräumig? Aus den Melderegistern geht doch sehr genau hervor, wer an welcher Adresse wohnt. Noch kleinräumiger geht zu weit in die Privatsphäre.

sind reine Registerauswertungen nicht ausreichend. Ein Zensustest, der von der amtlichen Statistik in den Jahren 2001 bis 2003 durchgeführt wurde, ergab, dass es in Abhängigkeit von der Gemeindegrößenklasse unterschiedlich starke Abweichungen in den Melderegistern gab:
„Gemessen an den Ergebnissen der Haushaltebefragung weisen die unbereinigten Melderegister für die Bevölkerung am Ort der Hauptwohnung im Bundesdurchschnitt eine Karteileichenrate von knapp 4,1% auf. Der durchschnittliche Anteil von Karteileichen bei den im Melderegister gemeldeten Personen streut beträchtlich zwischen den Bundesländern. In den Flächenländern schwankt er zwischen 2,6% (Thüringen und Sachsen) und 4,6% (Hessen), mit Ausnahme von Schleswig-Holstein (6,2%) und dem Saarland5) (7,9%). In den Stadtstaaten liegt die Karteileichenrate zwischen 5,6% (Bremen) und 8,1% (Berlin).“
aus: Wirtschaft und Statistik 8/2004, S. 816, siehe http://www.zensus2011.de/uploads/tx_templavoila/Ergebnisse_des_Zenustests.pdf

Karteileichen .. soso. Und welches Interesse hat jetzt z.B. die Stadt Cottbus daran, diese Karteileichen zu löschen? Cottbus kämpft um den Großstadtstatus (100.000 Einwohner), an dem viel Geld hängt. Seit 1990 sind ca. 30.000 Menschen weggezogen – wenn man jetzt zugeben muss, dass noch 5.000 mehr weggezogen sind, dann verliert man möglicherweise den Status der Großstadt ganz.

Karteileichen kann man aber auch organisiatorisch beikommen: wann immer ein Brief zurückkommt oder jemand nicht angetroffen wird, gibt es einen Hinweis an die Meldebehörde. Die GEZ bekommt das sehr gut hin. Zu gut. Verdächtig gut. Die wussten immer als erste, wenn ich umgezogen war.

Und wieder die Frage, warum befragt man mich? Ich weiß auch nicht, ob mein Vormieter sich ordnungsgemäß abgemeldet hat. Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich darüber keine Auskunft erteilen.

Bitte bedenken Sie, dass es bei den amtlichen Einwohnerzahlen nicht nur darauf ankommt, wie viele Einwohner Deutschland insgesamt hat, sondern dass auch die kleinräumige Verteilung sehr genau nachgewiesen werden muss.

Für wen und zu welchen Zwecken? Scheinbar nicht für die Meldeämter und deren Aufgabenerfüllung, denn ..

Für die Einwohnermeldeämter mag ein ordnungsgemäßes Funktionieren auch dann noch gegeben sein, wenn z.B. ein Student bereits in der Stadt seiner Universität wohnt, aber noch bei seinen Eltern gemeldet ist. Wenn dies aber kein Einzelfall ist, dann führt dies dazu, dass eine Stadt statistisch weniger Einwohner hat, als wirklich dort leben, mit all den Folgen für den kommunalen Finanzausgleich. Eine solche Stadt hätte also weniger Steuermittel zur Verfügung, muss aber für mehr Menschen Infrastruktur unterhalten.

Ein typisches Cottbuser Problem, dem die Stadt schon aus Eigeninteresse begegnet. Sie gleicht alle paar Jahre die Mieter von Studentenwerk und den großen Wohnungsbaugesellschaften mit dem Melderegister ab. Auch das halte ich für bedenklich, aber es beweist, dass der Zensus nicht gebraucht wird.

Nebenbei stellt sich die Frage, wie man dem Problem durch den Zensus begegnen kann. Bei den Studierenden mag das noch gehen, denn ALLE Studi-Wohnheimsinsassen werden befragt. Aber wenn ich in einer Stadt nicht gemeldet bin, wie sollen die Volkszähler auf die Idee kommen, mich in dieser Stadt zu besuchen? Sie wissen ja nicht, dass ich dort wohne.

Wir hoffen, dass wir Ihnen weiterhelfen konnten und stehen für weitere Fragen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

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Geholfen hat’s noch nicht viel, aber auf das Angebot komme ich gern zurück.